Buchrezension: "Schüler-Leichtathletik"

25.12.2004

Schüler-Leichtathletik
Autorenteam: Dr Arne Güllich, Prof. Dr. Wolf-Dietrich Hess, Klaus Jakobs, Dr. Frank Lehmann, Uwe Mäde, Frank Müller, Klaus Oltmanns, Rudolf Schön
Philippka-Sportverlag Münster 2004; ISBN 3-89417-135-9;

Zusammenfassung:
Wertung: 3 von 5 Sternen

Stärken
+
Sehr viele und schöne Fotos/Grafiken und übersichtliches Farbkonzept
+ Viele Methodik-Tipps (Kästchen "Beachte" und "Tipps für die Praxis")
+ Tolle Darstellung des theoretischen Hintergrunds, der Zielformulierung sowie spez. Anforderungen des Altersbereichs

Schwächen
- Zu magerer Praxisteil: nur 25%. (Forderung 60%!!!)
- Schlechte Verknüpfung Ziel-Methode-Übung
- Zu sehr bereits ins Aufbautraining tendierende Thematik; ungenügender Anschluss an "Kinderleichtathletik"
- Stark Teilmethoden-geprägt; von GAG und Ganzheitlichkeit keine Spur

Das Buch trägt das Label "Offizieller Rahmentrainingsplan des Deutschen Leichtathletik-Verbandes für das Grundlagentraining" und wurde Ende 2004 offiziell herausgegeben. Gemäss Vorwort von Hess soll das Buch ans bereits bestehende Werk
Kinderleichtathletik anknüpfen. Zielgebiet sind die verbandsspezifischen Schüler-Altersklassen und deren Grundlagentraining. Schüler-Leichtathletik will in erster Linie ein umfassendes und praxisorientiertes Werk über das Leichtathletiktraining mit 11-14jährigen sein.

Das Buch ist in sieben Kapitel unterteilt: Ziele, Trainerverhalten, Entwicklungsbedingungen, Sportliche Ausbildung, Übungssammlung, Trainingskontrolle und Trainingsplanung. Ergänzend sind ein kleines Lexikon und ein Literaturverzeichnis angehängt. Mit einem klaren Farbkonzept wird die Übersichtlichkeit und eine rasche Suche erleichtert. Zahlreiche Farbfotos und ansprechend gestaltete Grafiken verleihen dem Buch Lebendigkeit.
Inhaltlich wird das Buch dem hohen Anspruch leider nicht immer gerecht. Die Stärken des Buches liegen im theoretischen Teil wie z.B. dem ausgezeichneten Kapitel 3 (Entwicklungsbedingungen und Trainingsgrundlagen) oder dem Kapitel Ziele und Aufgaben.
Im eigentlichen Hauptteil, dem Kapitel 4 (Sportliche Ausbildung) gelingt es den Autoren jedoch nie ganz, den Schritt zur Praxis zu vollziehen. Nach typisch akademischer Manier bleibt man bei einer doch eher allgemein formulierten Zielsetzung was die Trainingsinhalte betrifft und viel zu schnell steuern die Autoren bei diesem doch für den 11-14jährigen Bereich auf das standartisierte Technik-Leitbild zu. In diesem Teil müsste meiner Meinung nach in erster Linie gezeigt werden, was die wichtigen (d.h. zu trainierenden) Schlüsselbewegungen sind und sofort mit einigen Kernübungen illustriert werden, damit man sieht, was denn bewährte Übungen sind, um diese Schlüsselbewegungen zu trainieren. DAS wäre das Fleisch am Knochen! Zwar wird oft angedeutet was wichtig ist, aber ein durchgehendes Konzept wie die bei uns bekannten "Kernelemente" fehlt hier völlig. Stattdessen orientiert man sich im Buch nach einem Baustein-Aufbau (Technikelemente), die sich an der sportwissenschaftlichen Phasenstruktur orientieren. Das führt dann schnell wieder dazu, dass die eminent wichtige Forderung nach ganzheitlicher Bewegungsvermittlung (z.B. GAG-Methode) auf der Strecke bleibt und wir wieder zur DDR-Teilschrittmethode à la "Trainingsprogramme Leichtathletik" zurückkehren würden. Dies ist sicherlich der Tatsache zuzuschreiben, dass das Autorenkollektiv von wenigen Ausnahmen abgesehen aus Akademikern und Trainern im Spitzenbereich besteht. Hier hätten unbedingt einige effektiv im täglichen Trainingsbetrieb mit Jugendlichen im Zielgruppenalter stehende Trainer Not getan! Die überall eingestreuten -praktisch lückenlos richtigen- methodischen Tipps sind zwar gut gemeint, können aber wegen dem meist fehlenden WAS-WIE-MIT WELCHER ÜBUNG-Muster nicht konkret verknüpft werden. Beispielsweise weiss ein junger Leiter nach der Bücherlektüre immer noch nicht, wie ein Hochsprunganlauf ausgemessen wird, resp. was denn eine konkrete Ausmess-Möglichkeit für einen 7-Schrittanlauf wäre.
Wie schon im Buch "Kinderleichtathletik" wird mit vielen motivierenden Fotos und Reihenbildern das Wissen veranschaulicht. Und wie in Katzenbogners Werk schlichen sich auch hier einige basale Grundfehler rein, die bei einem im Vorfeld als "neues Standartwerk" hochgejubelten Lehrbuchs einfach nicht passieren dürften (z.B. die völlig falsche Fusspositionierung auf S. 126/127 oben).
Immerhin wird mit einer 65 Seiten starken Übungssammlung (25% des Buches) dann doch noch versucht, die wichtigsten Praxisübungen darzustellen. Ob die abgebildeten Technik-Übungen nun die wirklich wichtigsten sind, bleibe dahingestellt. Schön ist, dass ein spezieller Praxisteil dem Turnen gewidmet wurde und auch kleine Kampfübungen als Krafttraining fehlen nicht. Die dargestellten Gymnastikübungen sind meiner Meinung nach zu oft auf einige wenige Muskeln fixiert (Bsp. S. 207); als Praktiker muss ich einwenden, dass ich mit solchen Übungen viel zu lange mit Gymnastik beschäftigt wäre. In einer mehrkampforientierten Grundausbildung (und das muss das Ziel im genannten Altersbereich sein!) muss mit Kombinationsübungen gearbeitet werden, wo mehrere wichtige Muskelgruppen beansprucht sind. By the way: es fehlt im theoretischen Teil der wichtige Hinweis auf die Unterscheidung globales/lokales Muskelsystem. So sähe man auch den Sinn hinter dem propriozeptiven Training - gut wurden diesbezügliche praktische Übungen dargestellt und im Lexikon erwähnt.
Auch das Kapitel 6 (Überprüfung der Trainingsziele) stellt ein sehr wichtiges Thema dar, das konkreter und mit disziplinenspezifischeren Möglichkeiten ausgestattet werden könnte. Im abschliessenden Kapitel Trainingsplanung wird auf 5 Seiten eine Möglichkeit für die Themenplanung gezeigt. Auch dieses Kapitel kommt nie an den konkreten Nutzen des schweizerischen J+S-Trainingshandbuches LA heran. Zu offen sind die Wahlmöglichkeiten; nichts wo sich ein junger Leiter dran festhalten könnte.
Bei den Literaturempfehlungen werde ich als spezifischer Literaturkenner natürlich schon etwas stutzig, wenn in einem Buch zur Schülerleichtathletik zur Vertiefung die DDR-Trainingsprogramme von Lenz/Losch oder Hempel/Lohmann empfohlen werden. Die sind für diesen Altersbereich nun wirklich völlig ungeeignet!

Fazit: Ein gutes Buch, aber mehr nicht und schon gar kein Standartwerk! Um die Aufgabe eines Standartwerkes zu meistern wäre eine breiter abgestützte Autorenbasis (d.h. ganzer deutschsprachiger Raum inkl. schweizerische und österreichische Experten) und eine aus mehr Praktikern und weniger Hochschuldozenten zusammengesetztes Gremium nötig.

Bis dahin bleiben folgende Bücher meiner Meinung nach für den Schüler-LA-Bereich die Standartwerke:
- AUPHELLE Georges, u.a.: L'enfant et l'athlétisme, Paris 1986 (für den Praxis- und Methodikbereich)
- JOCH Winfried: Schüler-Leichtathletik. Forderungen und Ansprüche an ein Training mit Kindern im Schüleralter. Niedernhausen 1982 (für den gesamten Theoriebereich)

Buchkritik:
Isidor Fuchser. Kantonaler Chefexperte Leichtathletik, SLV-Instruktor Mehrkampf, Mitglied Nachwuchsressort im Berner Leichtathletikverband; leitet 6-8 Trainings pro Woche unter anderem Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 7-15 Jahren.